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Um- und Abwege

UM- UND ABWEGE

D7 in den 1970er Jahren

Wilhelm JUST, Ottensheim, le 19. Fevrier 2017
Texte en Français

Ich kam 1971 direkt von einem dreijährigen  post-doctoral Aufenthalt bei Prof. C.G. Shull am MIT in Boston zu meinem Aufnahmegespräch mit Prof. Maier-Leibniz und Bernard Jacrot ans ILL und wurde als Physiker im ILL eingestellt. Der Vorschlag von Prof. Maier-Leibniz und meine Aufgabe waren, am HFR eine Diffusstreuanlage, das D7, aufzubauen. Da diesbezüglich die Gruppe von Prof. Werner Schmatz vom Forschungszentrum Jülich bereits einige Erfahrung hatte, wurde ich zunächst zur Einarbeitung in diese Gruppe  geschickt.

Die Erfahrung bei Prof. Shull am MIT  hatte bei mir bewirkt, daß meine ursprüngliche Faszination durch die Physik einer großen Skepsis gegenüber der rein rationalen Methode der Naturwissenschaften Platz gemacht hatte. Für mich war als Student in Wien die Physik  die  Wissenschaft gewesen, die es erlauben wird, die Welt und den Menschen als Ganzes zu verstehen. Nun war Prof. Shull zwar der ideale Professor für Studenten und ein großartiger Wissenschaftler (Nobelpreis für Physik, 1993) und auch sonst ein außergewöhnlich integrer Mensch, eigentlich das Vorbild eines Wissenschaftlers schlechthin. Allerdings war ich in meinem jugendlichen Idealismus damals sehr enttäuscht, da man mit ihm außer über Physik über kein anderes  Thema sprechen konnte/durfte. Dadurch war meine ursprüngliche Faszination durch die Physik einer gründlichen  Enttäuschung gewichen und ich suchte nach einer anderen möglichst integralen Wissenschaft, was für mich damals – es war Ende der 60er Jahre – die aufkeimende  Sorge um die Umwelt, also die Ökologie, war. Als ich dann 1971 nach Grenoble kam, begannen wir, eine kleine Gruppe von Physikern des ILL und CENG, uns mit dieser Thematik zu beschäftigen und trafen uns dazu regelmäßig am CENG. Das Thema damals war die Kernenergie – in der konkreten Form des Surregenerateurs Superphénix in Creys-Malville. Wir versuchten, Information zu sammeln und zu verbreiten. Unsere gemeinsamen Treffen im CENG und Gespräche waren für mich durch die französischen Kollegen vom cartesischen Geist (Spaltung von res extensa/res cogitans) dominiert, d.h. die alleinige Bewertung der Außenwelt (res extensa) und völlige Abwertung/Vernachlässigung der Innenwelt (res cogitans).  Es war René Descartes (* 1596  La Haye, †1650  Stockholm), auf den diese Aufspaltung der menschlichen Wirklichkeit zurückgeht und die dazu führte die Natur allmählich als völlig entseelt und schließlich als eine Maschine betrachten und behandeln zu können. Dieses cartesische Postulat war Voraussetzung für den enormen Aufschwung der Naturwissenschaften. Der beeindruckende Siegeszug der Naturwissenschaften war Beweis genug für seine Berechtigung.  Die res cogitans, also die für immer flüchtige, nicht festzumachende Innenwelt des Menschen rückte damit immer weiter in die Vergessenheit, - ja bis zu unserer Zeit, wo sie "wissenschaftlich" weitgehend geleugnet wird, da nicht "objektiv" nachweisbar. Um aufzuzeigen, daß die radikale cartesische Trennung von res extensa und res cogitans mit Quantenphysik und Gödelschen Unvollständigkeitstheoremen in der Mathematik wissenschaftlich schon längst nicht mehr zu halten ist, wollte ich diesen Hintergrund in einem Seminar für unsere Gruppe einmal aufzeigen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ergebnissen der Quantenphysik und der Mathematik im vergangenen Jahrhundert zeigt sehr deutlich, daß der Mensch selber nie aus seinem Weltbild, auch nicht dem der "exakten" Wissenschaften zu eliminieren ist. Er ist (autoreferentiell) selber immer mitten drinnen enthalten und abgebildet, was irgendwie bereits in Richtung Psychologie verweist. Von dieser hatte ich keine Ahnung und wollte mich darüber etwas näher informieren, bevor ich mich mit meinen Ausführungen vor die Gruppe zu treten wagte. Ein guter Freund in Zürich, von dem ich wußte, daß er mit Psychologen Kontakt hatte – welche, war mir egal, da ich von Psychologie sowieso keine Ahnung hatte -, arrangierte für mich ein Gespräch mit Marie-Louise von Franz (1915-1989). Sie war enge und wohl bedeutendste Mitarbeiterin von C.G.Jung(1875-1961), mit der auch Wolfgang Pauli(1900-1958) lange Zeit therapeutisch verbunden war (z.B. Wolfgang Pauli:  "Der Einfluss archetypischer Vorstellungen auf die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler"  in  C.G. Jung/ Wolfgang Pauli,  Naturerklärung und Psyche, Rascher Verlag, Zürich 1952). Sie war dadurch der ideale Gesprächspartner für mich und meine Fragen. Dieses Treffen mit ihr war entscheidend für meine weitere Entwicklung. Dadurch kam ich mit dem Werk Jungs in Kontakt und dabei dämmerte mir, daß der Ansatz C.G. Jungs, Mensch und Welt zu verstehen, immer schon das gewesen war, nach dem ich gesucht hatte. Ich begann eine Jungsche Analyse, im Verlauf derer der Entschluß entstand und wuchs, selber eine Ausbildung in Jungscher Psychologie zu machen. Diese Ausbildung wurde damals am C.G, JUNG Institut in Küsnacht bei Zürich angeboten. Im Jahre 1981 begann ich sie dort – berufsbegleitend im Wesentlichen. Zwei Jahre konnte ich mich voll diesem Studium widmen, ein erstes als "sabatical year" im Jahre 1982, dann noch ein zweites, als der HFR wegen einer Panne einen längeren Stillstand hatte. In diesem zweiten Jahr konnte ich im Schweizer Reaktorzentrum Würenlingen bei Zürich bei Prof. Albert Furrer die notwendige Qualitätskontrolle der Superspiegel, die Prof. Otto Schärpf an der Aufdampfanlage des ILL weiter produzierte, mit Neutronen durchführen. Im Jahre 1987 schloß ich die Ausbildung mit der Diplomthesis "Bilder der Schöpfung in Physik und Mathematik" bei M.L.v. Franz und mit dem Diplom des Instituts ab. Bis Okt. 1989 blieb ich noch als staff scientist am ILL, dann kündigte ich und kehrte mit meiner Familie nach Österreich, Ottensheim und in mein Geburtshaus zurück und arbeite seither in Linz als freiberuflicher Psychotherapeut.

Vor allem den Direktoren Brian Fender, Tasso Springer und Wolfgang Gläser bin ich dankbar, daß durch ihr Verständnis und ihre Unterstützung mein Umweg von der Physik zur Psychologie überhaupt  möglich wurde. Auch die wohlwollende, offene Haltung des Instituts als ganzem, die damals die Atmosphäre und den Umgang untereinander prägte, machte es möglich, solche Abwege zu beschreiten und auch zuende zu führen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, daß wir – ein paar Physiker vom ILL - sogar eine Philosophievorlesung von Jacques Lambert an der Grenobler Uni besuchten. Er sprach damals über den Wiener Kreis des logischen Positivismus.

Seit Ende 1989 arbeite ich als freiberuflicher Psychotherapeut mit Menschen, die an psychischen Problemen leiden. Der Jungsche Zugang erlaubt, sich Menschen mit einem breiten Spektrum psychischer "Probleme" zu widmen: vom Individuum, das seinen eigenen Lebenssinn sucht, bis zum psychisch Kranken mit psychiatrischer Diagnose. Grundlage dafür ist letztlich Jung’s Ansatz, das menschliche Unbewußte als Wirklichkeit sui generis und unmittelbares Gegenüber jedes Menschen zu behandeln. So wie die Entdeckung der Mikrophysik einen neuen Zugang zu dieser Wirklichkeit erforderte – sowohl äußerlich in Form entsprechender Instrumente, als auch konzeptuell als ein neues erweitertes Verständnis der Wirklichkeit -, so erfordert auch der Zugang zum Verständnis des Unbewußten eine andere Auffassung der Welt, wie sie uns erscheint.

Speziell die sogen. Kategorien des Verstandes Imanuel Kants – psychologisch vielleicht präziser Kategorien des Bewußtseins, wie Raum, Zeit, Kausalität, Quantität, Qualität,etc. gelten im Unbewußtewn nur mehre relativ, wie wir es an den Wirklichkeiten der Träume in der Nacht erfahren können. Seit 1995 bin ich Lehranalytiker unserer psychotherapeutischen Gesellschaft, ÖGAP, also auch in der Ausbildung in analytischer (Jungscher) Psychologie tätig. Weiterhin interessiert bin ich an der Schnittstelle von Naturwissenschaften und Psychologie. Speziell die Geschichte der Mathematik kann man verstehen als einen markanten Ausschnitt aus dem mühsamen Wege der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins, seit es schriftliche Zeugnisse eines homo sapiens gibt.  Die Suche nach einer letzten, absoluten Sicherheit war lange Zeit (seit Euklid, 330 v.Chr.) auf die Mathematik projiziert und wurde eigentlich erst 1931 durch Kurt Gödel (1904-1978) und seine Unvollständigkeitstheoreme endgültig frustriert, bzw. relativiert.  
                                                                                                                     Wilhelm JUST

Dernière mise à jour: 15 May 2017